Eurydike
Zuwider war der Seele ihre feste Hülle
Mit Augen und Ohren wie Fünfer so groß,
Mit Haut, die, Narbe an Narbe,
Das nackte Skelett überzieht.
Flieg durch die Hornhaut zur Kuppel des Himmels
Flieg auf metallener Speiche,
Du Prunkwagen der Vögel
Und erhör durch die Gitter Deines lebendigen Kerkers
Das Schnarren der Wälder und Augen,
Die Posaune der sieben Meere.
Eine andere Seele erträum ich mir,
Die Seele glaubt sich sündhaft ohne Körper,
Ganz wie der Körper ohne Hemd.
Kein Plan, keine Tat, kein Vorhaben, kein Ziel.
Uns bleibt zurück ein ungelöstes Rätsel:
Wer kehrt zurück von jenen, die auf dem Platz getanzt,
Wo niemand tanzen darf?
Eine andere Seele erträum ich mir,
Sie trägt ganz anderes Gewand.
Von Schüchternheit zur Hoffnung übergehend,
Glüht sie von Feuer wie ein Schnaps,
Geht ohne Schatten durch die Welt,
Läßt euch des Flieders Dolde
Zurück zur ewigen Erinnerung.
Lauf Kind! Lauf weg!
Bejammere nicht Eurydike, die arme.
Treib deinen Kupferreifen
Mit einem Stöckchen durch die Welt
Solang die Erde, und sei es auch leise,
Als Antwort unter jedem Schritt
Vergnügt dir in den Ohren rauscht.
Arsenij Tarkowskij
|
Eurydike (griechisch; die weithin Richtende) ist eine thrakische Dryade, die durch ihre Beziehung mit Orpheus bekannt wurde. Von manchen auch Agriope genannt, "die mit dem wilden Gesicht", jedoch könnte sie nach Karl Kerényi auch Argiope, "die mit dem weißen Gesicht" geheißen haben.
....................................................................................
"...
Wenn nicht täuscht das Gerücht des altbesungenen Raubes, hat euch Amor gefügt. Bei den Orten des Grauns und Entsetzens, bei der verstummenden Öd' und diesem unendlichen Chaos, löst der Eurydice, fleh' ich, o löst das beschleunigte Schicksal! Alle gehören wir euch; wann wenige Frist mir geweilet, etwas früher und später ereilen wir einerlei Wohnung. Hierher müssen wir all; hier ist die letzte Behausung; Ihr beherrscht am längsten die elenden Menschengeschlechter. Jen' auch, wenn sie gereift die beschiedenen Jahre gelebet, kommt zu euch; nur kurzen Genuß verlang' ich zur Wohltat. Wenn mir das Schicksal versagt das Geschenk der Vermähleten, niemals kehr' ich von hinnen zurück! Dann freut euch des doppelten Todes!
...
"
METAMORPHOSES - Verwandlungen,
Publius Ovidius Naso |